Talkes Tagebuch
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Nur Talke ?



Im Februar bemerken wir eine Verschlechterung von Talkes Zustand. Die Abstände zwischen der Verabreichung des Schmerzmittels werden kürzer, auch müssen wir immer öfter Morphium-Sonderdosen einsetzen, wenn die Kleine beginnt zu stöhnen.  Da sie nicht  mehr husten kann, müssen wir sie alle 3 Stunden durch die Nase, später durch den Rachen absaugen, um ihr Linderung zu verschaffen. Unser Kind beginnt sich zu verändern: Muskelmasse ist so gut wie nicht mehr vorhanden, die Arme sind dünn wie Zweige, die kleinen Beinchen abgemagert, das Gesicht aufgedunsen ...

Evke geht zum Kinderkarneval ... Wieder fühlen sich  Mitbewohner berufen, ihren Kommentar abzugeben ! In der Schule weint Evke, wenn sich Mitschüler über unser Schicksal auslassen. Woher kommt dieses Wissen ? Wahrscheinlich von den Eltern, den sogenannten ERZIEHUNGSBERECHTIGTEN ... 

Trotz allem kommt der Abschied überraschend. Es gab Tage und Nächte, die psychisch und physisch anstrengender waren, als die Nacht vom 20. auf den 21. Februar 2009. Nachdem ich Talkes Sekret fast stündlich in der Nacht abgesaugt habe, bin ich morgens um 06.30 Uhr aufgewacht und sah, wie so oft in den vergangenen 7 Wochen, daß die Windel völlig durchnäßt war. Ich habe mich gefragt, was ich wohl zuerst machen soll: absaugen, waschen und wickeln oder die Medizin verabreichen ... Ich habe sie angesehen und fand, daß sie etwas blaß war und relativ schwer atmete. Entschieden habe ich mich dann für das Waschen, Wickeln und Umziehen und derweil ich alle Sachen aus ihrem Zimmer geholt habe, ist die Kleine um 06.50 Uhr eingeschlafen. Als ich wieder in das Zimmer kam, hatte sie sich auf ihre letzte Reise gemacht - ganz ruhig und friedlich lag sie in ihrem Bett, es war totenstill im Zimmer.

Wir haben das Fenster geöffnet und die Geräte abgeschaltet ... Ein großes kleines Mädchen, nicht einmal vier Jahre alt, ist von uns gegangen.

Wir haben anschließend Evke die Möglichkeit gegeben, sich von ihrer kleinen Schwester zu verabschieden. In ihrer kindlichen Art hat sie diverse Kuscheltiere zusammengesucht und ihrer Schwester in den Arm gelegt. "Talke ist jetzt ein Sternenkind und paßt auf mich auf  ! Im Himmel gibt es doch kein Spielzeug und die Reise ist weit - nicht das ihr langweilig wird und Fritz auf dumme Gedanken kommt ! " Evke verbringt den Tag bei einer Freundin und kommt erst abends wieder heim.

Um 11.00 Uhr trifft die Bestatterin ein. Noch ein letztes Mal nehmen wir das kleine, große Mädchen in den Arm, raffen ihr Bettzeug, Kleidung ( wie auf dem letzten glücklichen Kindergartenfoto) und ihren geliebten Hamster zusammen und legen unser Kind in einen Sarg. Der Leichenwagen steht auf der Auffahrt und derweil der Sarg im Auto veschwindet, können sich die Nachbarn nicht sattsehen - eine zweite Zigarette, um besser sehen zu können oder den Logenplatz 5 m entfernt aufgeben - man könnte es ja verpassen, sich am Schicksal der anderen nicht ausgiebig genug laben zu können und/oder den Gesprächsstoff zu verlieren ! Trauer und Wut vermischen sich zu einem explosiven Cocktail ...

Die darauffolgenden Tage verbringen wir damit, die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Gemeinsam mit Evke entwerfen wir die Traueranzeige und entscheiden, wer überhaupt eine Trauerkarte erhalten soll. Wir bestimmen die zu spielende Musik - "Die Rotznasen - Der leere Stuhl" und "Trude Herr - Niemals geht man so ganz" (beide Stücke sind hinterlegt auf den nächsten Seiten) und müssen uns auf dem Friedhof eine Grabstelle aussuchen. Es wird schließlich ein Platz an der Sonne, nach Osten gerichtet und abends durch den Kirchenstrahler illuminiert - schließlich soll Talke nicht im Dunkeln liegen ....

Am Montag nach ihrem Tod haben wir noch einmal die Möglichkeit, unser Kind zu sehen. Kalt wie eine Porzellanpuppe liegt unser Kind im weißen Sarg. Zugedeckt mit ihrer über alles geliebten Pferdebettwäsche, einem Schnuffelkissen unter ihrem kleinen Kopf und den Hamster im Arm - das Stofftier, das noch vor 3 Monaten Talke auf allen ihren Wegen, egal ob tagsüber oder nachts auf ihren Exkursionen vom Kinder- ins elterliche Schlafzimmer begleitet hat. Musik spielt im Hintergrund, es brennen diverse Kerzen, wir streichen ein letztes Mal über ihren Kopf, die blonde "Mähne" und schneiden uns eine Haarsträhne ab.

"Schlaf gut und träum' was Schönes"  - ein Satz, der noch vor 3 Monaten zum allabendlichen Einschlafritual gehörte ...

Derweil wir weiterhin jeden Tag mindestens 10 - 15 Trauerkarten aus dem Briefkasten nehmen dürfen, vergehen die Tage bis zum endgültigen Abschied quälend langsam - wir hätten doch auf einen früheren Bestattungstermin wählen sollen. Im nachherein können wir die Tage von Montag bis Freitag, dem Tag der Beerdigung von Fritz, nicht mehr im Einzelnen rekapitulieren. Die konkrete Erinnerung setzt wieder ein, als wir den bis auf den letzten Platz gefüllten Gemeindesaal betreten. Talkes Laufrad steht angelehnt an ihrem Sarg, Luftballons, Blumen und persönliche Gegenstände wie zum Beispiel ein Schnuffeltuch oder weitere Stofftiere verleihen der Zeremonie eine für uns unerträgliche Atmosphäre. Wir nehmen nicht teil an der Ansprache der Bestatterin; nehmen nicht wahr, daß Arbeitskollegen und Freunde aus Deutschland oder den Niederlanden angereist sind, um unserem Baby die letzte Ehre zu erweisen; wir starren auf Talkes Bild, stehen auf und folgen als nunmehr kleinere Familie den Sargträgern zu ihrer endgültigen Ruhestätte - ohne zu wissen, daß das Wort "Ruhestätte" im Laufe der nächsten Wochen eine ganz neue Bedeutung für uns erlangen wird ! 

Es ist jetzt Freitag, der 27. Februar 2009, 12.30 Uhr und wir stehen am Grab unseres Kindes.........